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Kritische Zwischenbilanz: Decken ukrainische Geflüchtete unseren Personalbedarf?

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar sind schon mehr als vier Monate vergangen. In der Gesellschaft war und ist eine große Solidarität gegenüber den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine zu spüren. Das gilt erfreulicherweise auch für Unternehmen: Hier gibt es eine große Bereitschaft zu helfen, durch Spenden, Hilfsaktionen, Bereitstellung von Wohnraum, Einstellung von Geflüchteten oder Schaffung von Stellen für Geflüchtete. Daraus kann sich eine Win-Win-Situation ergeben: Ukrainische Geflüchtete finden Arbeit, und Arbeitgeber finden Fach- und Arbeitskräfte, die sie schon lange suchen. 

Häufig wurden hohe Erwartungen geäußert, was das Potenzial für den Arbeitsmarkt angeht. Ein Blick auf die soziodemografischen Daten der Geflüchteten und ihre Vorstellungen kann helfen, die Lage realistisch einzuschätzen: Die meisten Geflüchteten sind Frauen, viele mit Kindern und Jugendlichen an ihrer Seite. Männer bis 60 Jahre dürfen die Ukraine nach wie vor nicht verlassen. Inzwischen ist nicht mehr zu übersehen, dass einige Geflüchtete wieder in die Ukraine zurückkehren. Viele, die momentan noch hier sind, wollen in absehbarer Zeit zurückkehren. An dieser Stelle ist wichtig zu betonen: Die Menschen sind gekommen, weil sie vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen sind. Sie sind nicht gekommen, um das Personalproblem auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu lösen.

Die Ukrainerinnen und Ukrainer, die hierbleiben möchten, sollen jetzt gute Rahmenbedingungen für eine langfristige Integration vorfinden. Sie sollen sich in Deutschland und Sachsen von Anfang an willkommen und wohlfühlen. Für die meisten steht dabei jetzt der Spracherwerb an erster Stelle. Nur eine kleine Minderheit hat bereits gute Deutschkenntnisse. 

Im Gegensatz zu Flüchtlingen aus anderen Ländern wurde Ukrainerinnen und Ukrainern pauschal der Aufenthalt zum vorübergehenden Schutz gewährt. Damit ist auch der freie Arbeitsmarktzugang verbunden. Die Willkommenskultur, die von politischer Seite ukrainischen Flüchtlingen entgegengebracht wurde, wirft aber auch die Frage auf, warum nicht alle Flüchtlinge gleichbehandelt werden. Viele Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern haben keinen freien Arbeitsmarktzugang und dürfen nur mit Erlaubnis der Ausländerbehörde arbeiten. Viele Flüchtlinge aus anderen Ländern haben nicht wie ukrainische Flüchtlinge Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, sondern nur auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, das keine so gute Integrationsleistung verspricht. 

Zumindest fällt in der aktuellen Situation auf, dass viele Geflüchtete, die um 2015 nach Deutschland gekommen sind, für die Integration auf dem Arbeitsmarkt schon einen Schritt weiter sind. Wer offen ist und die Potenziale aller arbeitsuchenden Menschen sieht, wird beim Recruiting ein glückliches Händchen haben. Um die große Zahl an offenen Stellen zu verringern, braucht es aber weiterhin Verbesserungen in der regulären Fachkräfteeinwanderung.